Bio

Hannes vo Wald hat ein Lager voller Skurrilitäten und einen Hang zur Pyromanie. Dahinter versteckt sich ein Schamane von Appenzeller Geist und Blut.

Brigitte Schmid-Gugler

Wegweiser Richtung Baschloch, Sandegg, Habsat, und dann noch die Haltestelle Morgenlicht: Schon auf dem Weg zu ihm nach Hause, nach Wald, im Ausserrhodischen, beschleicht einen das Gefühl, in eine magische Welt einzutauchen. In der Nacht fiel Regen, und dicht über den gemähten Wiesen liegen Wolkenfetzen, oder sind es am Ende Schrättli, Waldschrättli, wie sie doch bestimmt zwischen diesen Hügeln herumwuseln, und denen es wohl ist um Menschen herum, die mit ihnen zu leben wissen. Bei ihm, dem Zauberer und Pyrotechniker Hannes Irniger, fühlen sie sich mit Sicherheit besonders wohl. Im Gebälk sitzend und Beinchen baumelnd hinunter äugend auf das unglaubliche Sammelsurium.

 

Der Festbefröhlicher

Im Stall läuft das Radio, DRS 2, ein Konzert. Hannes vo Wald – so sein Eintrag im Telefonbuch – sagt, er lasse es einfach laufen, immer, es solle die Marder das Fürchten lernen. Ja, er hat «Marder» gesagt. Die raumteilenden Gestelle in dem geräumigen Stall sind bis unters Dach voll.

Gesteine, Hölzer, Fossilien, Knochen, Schädel, Geweihe; Schränke voller Gerätschaften, medizinische und handwerkliche; Näh-, Schreib- und andere Maschinen, Kisten voller Stoffe, Kleider, Hüte; Bestecke, Schlösser, Herbarien, eine tote Katze, ein im Alkohol schwimmender Mutterkuchen, ein alter Optikerstuhl, ein Schröpfapparat und ein verschlossenes Schränkchen mit uralten Arzneien und Tinkturen. Vom Grossvater. Wer weiss, wofür die noch gut sein können!

Hannes Irniger steht wie ein grosses staunendes (Quatember-)Kind mit glänzigen Äuglein vor seinen Gestellen im Anbau des geschmackvoll umgebauten Appenzellerhauses und sagt, entsorgen gehe auf gar keinen Fall. Er verbringe viel Zeit mit «Sachen sichten» und freue sich daran. Ordnen sei eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Ordnen und «primär sortieren» und dabei auf Ideen kommen für seine künstlerischen Objekte, oder für seine Performances als Zauberer, Pyrotechniker und Conférencier, «Festbefröhlicher», wie er sich selber gerne nennt.

 

Schatzsucher des Geistes

Doch hinter diesem Hannes Irniger, der schon als Kind ein «ewiger Züsli» war, keine Freude hatte an der Schule, seine Freizeit am liebsten in einem Töbeli oder im Wald verbrachte, vom umgegrabenen Friedhof Knochen nach Hause schleppte. Von dem sein Vater sagt, er habe immer alles in sich eingesogen mit «Augen wie Staubsauger», der bei Roman Signer lernte, mit Schwarzpulver zu hantieren, und während der Rekrutenschule nie glücklicher war als in den Wochen,

als er mithelfen konnte, einen Wanderweg freizusprengen und anzulegen; der in noch unerforschte Höhlen steigt, und immer schon am liebsten Löcher grub, um darin etwas noch Unentdecktes zu entdecken, der Primarlehrer wurde und diesen Beruf wegen seiner Zauberei und Chlöpferei schliesslich an den Nagel hängte, der verheiratet und Vater von zwei schulpflichtigen Kindern ist, der in den Disziplinen «Gefahrengut-Transporte» und «Zivilsprengungen» ausgebildet ist, der mittlerweile

so bekannt ist, dass seine Auftritte von seiner Frau Barbara, der ausgebildeten Kleinkinderzieherin und Künstlerin koordiniert und gemanagt werden müssen – hinter diesem Hannes steckt, so scheint es, noch ein ganz anderer, ein stiller, nachdenklicher und forschender Mensch, einer, von dem man gar denken könnte, seine Zaubererverkleidung diene zur Tarnung des Schamanen in ihm.

Ärzte und Heiler

Je länger man ihm zuhört und er einen mit diesem in sich ruhenden Augenpaar anschaut, desto deutlicher zeichnet sich eine Kraft ab, eine Aura, die von tief innen kommt und ihn auch von aussen umgibt. Damit ist nichts Mystisches, Irrationales gemeint, sondern der Zauber eines Urvertrauens, einer Weisheit, eines über Generationen kultivierten Erbes der Philanthropie und Neugierde am (organischen, kosmischen, immateriellen, sozialen, kulturellen, geistigen) Leben.

Da ist seine Familie, väterlicher- und mütterlicherseits eine Ärztedynastie, darunter der Vater der Mutter, in Russland aufgewachsen als eines von zehn Kindern eines Schweizer Emigrantenpaares. In den Fünfzigerjahren drohte ihm der Ausschluss aus der Ärztekammer, weil er sich auf Homöopathie und Akupunktur spezialisiert hatte. Vater Walter Irniger übernahm die Arztpraxis des Grossvaters in Urnäsch. Dort wuchs Hannes als ältestes von vier Kindern auf.

Nicht selten sei sie oder ihr Mann zu einer Unterredung in die Schule gebeten worden, weil Hannes wieder einmal etwas «boosget» hatte, sprich, das Züsle nicht hatte lassen können, erzählt dessen Mutter Regula Irniger, Tänzerin und Naturheilpraktikerin. Aber böse sein konnte man dem Buben nicht. Der Vater habe, wenn etwas schief gelaufen sei, seine Kinder in die Arme genommen und mit ihnen geweint, anstatt sie zu ohrfeigen.

Dies tat vor allem aber auch Regula Irniger, welche neben ihrem nicht nur beruflich sehr engagierten Ehemann – unter anderem baute er das Appenzeller Brauchtumsmuseum in Urnäsch auf, bildete sich in Tiefenpsychologie weiter und setzte sich an der Universität Zürich für einen Lehrstuhl für Allgemeine Medizin ein – für die Familie da war und Hannes in Schach hielt.

 

Kein Hokuspokus

Was unterscheidet ihn von den anderen drei Kindern, fragt man vorsichtig bei den Eltern nach, sich daran erinnernd, dass der eine Sohn, Hannes’ jüngerer Bruder, ein «Schneetänzer», nennt ihn jener, vor sieben Jahren in einer Lawine sein Leben verlor. «Er erzählte Geschichten so, wie sie sich anscheinend haargenau zugetragen hatten, dann stellte sich heraus, dass alles erfunden war. Die Lehrer sagten dann, er habe wieder einmal gelogen», erinnert sich seine Mutter.

«Er führte mich immer an meiner rechten Hand, er konnte Tierstimmen und die Eigenheiten von Menschen präzis nachmachen, und er war versessen auf Geschichten», sein Vater. Die Zauberei, diejenige mit Tricks natürlich, ja, auch die habe sein Sohn von ihm beziehungsweise von seinem Grossvater übernommen.

Hannes erinnert sich, wie er als junger Erwachsener mit Vater und Bruder einmal in der Woche zu «Herrn Küenzler» gehen durfte, dem Zauberer mit einem kleinen Laden hinter dem Bahnhof St.

Gallen, «wo es wegen der Kaninchen immer ziemlich streng roch». Mit beiden Grossvätern – beide seien immer auf der Suche nach geistigen Quellen gewesen – habe er oft über Leben, Tod und Spiritualität gesprochen, heute tue er dies mit seinem Vater; die beiden Männer pflegen eine intensive Beziehung. In vielen Dingen – «eher in einem atheistischen als in einem gläubigen Sinn» – gebe es ein stilles Einverständnis, sagt Hannes Irniger.

Selbstverständlich wäre es heutzutage ein Leichtes, die Ebene des Mentalen zu Markte zu tragen, relativiert er umgehend die Frage nach der Nutzbarmachung der vielgepriesenen esoterischen Ebene, viele Menschen seien sehr empfänglich dafür, und die Gefahr, missverstanden zu werden, enorm. Auch gebe es hie und da «Anfragen», doch der «heilende» Aspekt, so davon überhaupt die Rede sein dürfe, sei ganz mit der Achtung und dem Respekt vor dem einzelnen Menschen verbunden, da sei kein Platz für Hokuspokus.